An dieser Stelle könnt ihr die ersten Kapitel des Buches »Die Laimer Galerie« lesen. Dies ermöglicht es euch, einen kleinen Einblick in das Buch zu gewinnen. Es kann auch eine schöne Sache sein, diese Kapitel zu lesen, bevor ihr das Spiel »Sturm der Sehnsucht« spielt.
Vorwort: Die Monaco Untergrundler
Die Monaco Untergrundler sind keine feste Organisation im Sinne eines eingetragenen Vereins oder dergleichen. Zwar gab es zeitweise Bestrebungen, einen solchen zu gründen, um die Gesetzesorgane zu ärgern, jedoch wurde das wieder fallen gelassen, da offizielle Mitgliederlisten diesen eher in die Hände gespielt hätten.
Die Untergrundler sind ein Netzwerk von Kriminellen aus unterschiedlichen Fachbereichen und Münchner Stadtbezirken, die sich gegenseitig in ihrer Arbeit unterstützen, untereinander vermitteln und sich gegenseitig aushelfen. Man könnte die Untergrundler mit einigem Recht als die Kammer der Unterwelt Münchens bezeichnen, allerdings erheben sie keine Gebühr.
Von klassischen Industrievertretungen unterscheidet sie auch, dass sie nicht ohne Ansehen alle aufnehmen, die das wollen oder nicht. Einige Arten des Verbrechens lehnen sie sogar strikt ab.
So wollen sie zum Beispiel mit Schutzgeld oder Zuhälterei nichts zu tun haben. Auch Auftragsmorde lehnen sie strikt ab und nehmen Betriebe, die einen Schwerpunkt auf derartige Dienstleitungen legen, nicht auf. Die Untergrundler sehen sich selbst als Verband von Menschen, die ein sauberes Handwerk betreiben und dabei Stil wahren.
Manche vertreten die Auffassung, dass die Untergrundler in Wahrheit eher mit einer Gewerkschaft vergleichbar sind, denn mit einer Kammer. In jedem Fall sind sie eine Interessensvertretung.
In dieser Reihe werden die einzelnen Mitgliedsorganisationen der Monaco Untergrundler und deren Köpfe vorgestellt. Die Reihenfolge, in der das geschieht, stellt keine hierarchische Ordnung oder dergleichen dar. Sie ergibt sich aus anderen, viel banaleren Umständen. So wird es als sinnvoll erachtet, dass sich erst der letzte Band der Reihe dem Chronisten der Untergrundler widmet, da dieser zunächst die Chroniken all der anderen niederzuschreiben hat.
Ebenso ist es folgerichtig, mit der Einheit der Untergrundler zu beginnen, die die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf diese Reihe zu lenken versuchen, indem sie für die Titelbilder verantwortlich zeichnen: Die Laimer Galerie.
Die Laimer Galerie bestand aus Kajetan Zwerling, Ivica Feric und Zena Glas.
Sie waren die Galerist:innen. Auf diese Schreibweise legten sie Wert, sie war ihre Marke.
Nicht, dass die drei Kriminellen großen Wert auf gendersensible Sprache gelegt hätten. Sie gehörten alle drei der überwältigenden, wenn auch in sämtlichen Umfragen konsequent totgeschwiegenen, Mehrheit derer an, denen dieses Thema vollkommen Wurscht war. Auch wenn sich mit dieser Aussage keine Schlagzeile machen ließ, weshalb auch kein Meinungsforschungsinstitut diese Antwortmöglichkeit zuließ.
Sehr wohl aber war den Galerist:innen bewusst, dass es in einem Geschäftszweig wie dem ihrigen, indem es schon die Vernunft gebot, die eigene Dienstleistung nicht auf großen Plakatwänden zu bewerben, mehr auf Mundpropaganda ankam, als irgendwo sonst.
Und so verließen sie sich darauf, durch die Empörung der Stetsempörten im Gespräch zu bleiben. Solange diese sich darüber ereiferten, dass das Gendergaga und der Sprachzwang mittlerweile sogar das ehrliche Handwerk der Betrügerei erreicht habe, konnten sie sich sicher sein, noch immer Relevanz zu besitzen.
Und Relevanz besaßen die Gallerist:innen allemal. Wer zu der Zeit, als sie aktiv waren, was auch immer gefälscht oder nachgemacht haben wollte, der wandte sich in aller Regel an die Monaco Untergrundler. Unter diesen wiederum wurde er dann an die Galerist:innen vermittelt, die seinen Auftrag entweder annahmen oder nicht.
Dies hing neben der dafür gebotenen Summe und dem Risiko auch davon ab, wie hoch die drei das Risiko einschätzen, während der Umsetzung eines Auftrags in Streit zu geraten.
Dass die Gallerist:innen sich während eines Auftrags fetzten war keine Seltenheit. Zu unterschiedlich waren sie gestrickt und zu unterschiedlich war auch ihr Vorgehen in Sachen Fälschung.
Dass es am Ende eine private Geschichte war, die das Trio in ein Duo und einen armseligen Trottel zersprengte, grenzte beinahe an ein Wunder bei so vielen professionellen Differenzen.
Gestartet hatten sie ebenfalls als Duo, bestehend aus dem spindeldürren und bis ins hohe Alter bartlosen Ivica Feric und der rothaarigen Schönheit Zena Glas. Die beiden waren siebzehn Jahre alt, als sie den zwanzig Jahre älteren Kajetan Zwerling kennenlernten.
Sie waren gemeinsam in Laim auf die Schule an der Friedenheimer Straße gegangen und hatten sie gemeinsam mit einem qualifizierten Hauptschulabschluss verlassen. Dieser hätte sie zwar beide dazu befähigt, jedoch keinen von ihnen dazu motiviert, Arbeit zu finden. Stattdessen verbrachten sie ihre, durch die Beschäftigungslosigkeit überbordende, Freizeit damit, jede Fläche, die sie zwischen dem Hirschgarten, Heimeranplatz und Pasinger Marienplatz finden konnten, zu besprühen.
Tatsächlich ging es ihnen dabei selten darum, Schaden anzurichten. Sie wollten Kunst erschaffen, auch wenn sie selbst damals niemals auf die Idee gekommen wären, ihre Werke als solche zu bezeichnen. Sie selbst sprachen von Bilder malen, wobei sie schnell eine eigene Handschrift entwickelten, die geprägt war von den Bildern, die sie in ihrer Kindheit ständig an Hauswänden gesehen hatten:
Die Fassadenbilder an den Laimer Eisenbahnerhäusern. Diese inspirierten sie dazu, große Wände mit Gänsen, Hirschen, Löwen und musizierenden und tanzenden Kindern vollzusprühen. Ihr Anspruch war dabei immer der, analog zu den Fassadenmalereien ihrer Heimat, so realistisch wie möglich zu sprayen.
Es dauerte nicht lange, da hatten sie sich einen gewissen Ruf erarbeitet, was einerseits darin begründet lag, dass sie ein gewisses Talent mitbrachten und obendrein schnell lernten, sondern auch daran, dass die Wahl ihrer Motive niemanden störte.
Im Gegenteil: Gerade unter den älteren Betrachtern ihrer Bilder herrschte ein ausdrückliches Wohlwollen, weshalb auch sehr viele von ihnen nicht überstrichen wurden.
Die Zeit, um ihre Praxis zu perfektionieren, hatten sie wie bereits erwähnt. Sie nutzten sie aber auch optimal aus. Das lag in Zenas Fall daran, dass sie so oft es irgendwie ging, aus der Wohnung ihres alleinerziehenden und alkoholkranken Vaters türmte. Wenn dieser aus seinem Bierkoma erwachte, pflegte er, alles kaputt zu prügeln, was ihm in den Weg kam. Das helfe gegen den Kater, sagte er, wann immer die von den lärmempfindlichen Nachbarn gerufene Polizei höflich nachfragte, weshalb er das denn mache.
Dass das, was ihm dabei in den Weg kam, meist seine eigene Tochter war, hinterfragte die Staatsgewalt nicht, sie lediglich regelmäßig darum, das doch etwas leiser zu gestalten, damit sie nicht ständig hergerufen würden.
Dass Zena in der Folge nicht nur eigenen Alkoholkonsum ablehnte, sondern auch der Exekutive von jeher mit einer gewissen Skepsis begegnete, verwundert vor diesem Hintergrund kaum.
In Ivicas Fall hingegen verhielt es sich so, dass er sich grundsätzlich immer dort aufhielt, wo Zena war. Wie ihr Schatten war er schon immer stets dort aufgetaucht, wo sie sich befand. Er betete sie an, aber nicht auf die Weise, wie sie allzu häufig bei jungen Männern gegenüber gleichaltrigen Frauen zu beobachten war. Wenn er sie ansah, war zu erkennen, dass er alles für sie tun würde, wenn sie es auch nur andeutete. Er jedoch erwartete keinerlei Gegenleistung dafür.
Ivica begehrte Zena nicht. Er hatte keinerlei erotisches Verlangen ihr gegenüber. Manche waren der Auffassung, zu derlei Gefühlsregungen sei er grundsätzlich nicht fähig, was später, im Rückblick als fatale Fehleinschätzung herausstellen sollte. Die Brandeis Freya, die Schirmherrin von Freimann sagte oft, das Verhältnis zwischen diesen beiden gleiche dem zwischen einem Impotenten und seiner Katze: Da sei einer, der das, was er gern würde, eh nicht zustande bringe und deshalb einem Wesen hinterherräume, das schon von seinem Wesen her gar nicht in der Lage sei, Dankbarkeit zu zeigen. Dankbarkeit wiederum, so die Brandeis weiter, erwarte ersterer aber auch nicht, er sei einfach froh, eine Aufgabe zu haben.
Begehrlichkeiten jedenfalls seien da nie im Spiel gewesen. Und mit Begehrlichkeiten kenne sie sich aus, schließlich seien die der Kern ihres Geschäfts. Wenn die Brandeis derartige Weisheiten in den Raum stellte, dann gab es niemanden, der ihr zu widersprechen wagte, weil er sonst Gefahr lief, in eine stundenlange Diskussion verwickelt zu werden, die er nicht gewinnen konnte. Nicht zuletzt deshalb wurde dieses von ihr gezeichnete Bild der beiden allgemein als treffend anerkannt.
Jedenfalls ergab es sich, dass sich auch diese beiden zu einem gewissen Zeitpunkt mit der Notwendigkeit konfrontiert sahen, Geld beschaffen zu müssen. Nicht, dass sie den Anspruch gehabt hätten, Reichtümer anzuhäufen - der entwickelte sich erst erheblich später. Sie erkannten schlicht die Biologie an, die ihnen vorschrieb, sich etwas zu essen in ihre damals noch jungen Mägen zu schaufeln, wollten sie nicht draufgehen.
Es war genau diese Zeit, in der sie realisierten, dass es ihren Zwecken, die sich damals weitestgehend zu einem einzelnen zusammenfassen ließen, nämlich regelmäßig eine warme Mahlzeit verschlingen zu können, zuträglich sein, ein geregeltes Einkommen zu haben. Und genau zu dieser Zeit trafen sie auf den Zwerling.
Kajetan Zwerling, bei ihrem ersten Aufeinandertreffen 39 Jahre alt und in Kreisen der Untergrundler bereits durchaus geschätzt, wenn auch nicht von hohem Stand, erkannte das Potenzial der beiden.
Er merkte sofort, dass da Menschen am Werk waren, die Talent mitbrachten, schnell lernten und einen ganz eigenen Stil zu entwickeln versuchten. Er nutzte damals die Kontakte von Corinna Blumenwies, der Betreiberin der Personalvermittlung Isarvorstadt, um seinerseits einen Kontakt zu den beiden zu erlangen. Selbstredend wäre der Zwerling auch selbst in der Lage gewesen, sie ausfindig zu machen. Das Gebiet, in dem sie sprayten, war nicht sonderlich weitläufig und freie Flächen ausreichender Größe nur begrenzt vorhanden. Aber der Zwerling machte es sich einerseits schon immer gern leicht, andererseits erhoffte er sich, mit dieser Vorgehensweise gegenüber den jüngeren mehr Professionalität ausstrahlen zu können.
Dieses Vorgehen zeigte Wirkung. Nachdem sie einer Überprüfung standgehalten hatten, sodass der Zwerling sich sicher sein konnte, dass sie nach einer gewissen Ansprache nicht umgehend zu den Behörden rennen würden, um ihn ob der ihnen unterbreiteten Möglichkeiten hinzuhängen, lud er sie ins Café Luftschlange in Pasing ein.
Bei einer aufgetauten Tiefkühlmahlzeit, die damals in dieser Gaststätte zum Standardprogramm gehörte, setzte er sie über seine Tätigkeiten in Kenntnis. Der bullige, vollbärtige Glatzkopf, den die meisten eher für einen Metzger oder Gerüstbauer denn für einen feinsinnigen Künstler hielten, saß ihnen gegenüber und erzählte ausschweifend. Von den falschen Münzen aus Zinn, mit denen er seine Fälscherkarriere damals begonnen hatte; auf die zwar kein Mensch bei Verstand hereinfiel, mit denen man aber ganze Zigarettenautomaten leerräumen konnte. Von der Steinplatte mit dem Fußabdruck, die ihm ermöglicht hatte, den Teufelstritt aus der Frauenkirche jetzt in seinem Keller aufzubewahren und von dem Satz Schafkopfkarten mit dem Blut König Ludwigs.
Und natürlich erzählte er auch von dem falschen Spitzweg, den ein ranghohes Mitglied der bayerischen Staatsregierung angeblich für Raubkunst aus dem zweiten gehalten hatte und sich bemüßigt sah, ihn für eine ganz stattliche Summe “vor der Restitution zu retten”.
Zwerling erzählte den beiden jüngeren von alldem nicht, um sich zu profilieren. Das hatte einer von seinem Kaliber erstens nicht notwendig und zweitens war ihm eh alles viel zu wurscht, als dass er sich selbst jemals in ein besseres Licht hätte rücken wollen.
Er erzählte es ihnen, um sie auf den Geschmack zu bringen. Auf den Geschmack des professionellen Handwerks und auf den Geschmack des Geldes, das in dieser Form des professionellen Handwerks verborgen lag.
Warum es ausgerechnet diese beiden waren, an die er sich wandte, weiß niemand so genau. Vermutlich lag es daran, dass sie offensichtlich talentiert und nebenbei noch nicht im Untergrund verankert und somit verfügbar waren. Neben seinen künstlerischen Fähigkeiten war es stets sein Pragmatismus gewesen, der den Zwerling auszeichnete.
Was er suchte, waren in erster Linie Handlanger, die er im Laufe der Zeit zu echten Geschäftspartnern aufbauen konnte und die, sollte er irgendwann den Weg alles irdischen gehen, sein Geschäft fortführen konnten. Eine Ausbildung im Fälscherhandwerk nannte er das und die Zena und der Ivica möchten, was sie da hörten.
Zum Zwerling ist zu sagen, dass er nicht nur ein Feingeist, ein Meister seines Handwerks und nebenbei ein Brackel von einem Kerl. Er war auch ein grundanständiger Mensch - zumindest gegenüber Menschen, die er als die Seinesgleichen ansah - und, das behauptete er zumindest von sich, ein Kommunist - weshalb er alle ohne ererbtes Geld als die Seinesgleichen ansah. Und aus diesem Grund, so eröffnete er es den beiden Jüngeren, stünde es für ihn gar nicht zur Debatte, ihnen, sollten sie sein Angebot annehmen, etwas anderes zu bezahlen als ein solides Grundgehalt zur Deckung ihrer Kosten. Zusätzlich würden sie natürlich eine Erfolgsprämie erhalten, wenn sie gemeinsam Geld verdienten. Um es gerecht zu halten, würden sie alle Einkünfte durch drei teilen, wobei vom Anteil der beiden Auszubildenden das vorgestreckte Grundgehalt abgezogen würde.
Natürlich witterten die zwei Galerist:innen in Spe bei einem solchen Angebot einen Hinterhalt. Sie hätten sich zwar nie zum Trickbetrug oder gar zur Vertuschung geeignet, vollkommene Trottel waren sie aber nicht und ein gewisses Misstrauen gegenüber allem, was ihnen einen eigenen Vorteil auf den Kopf zusagte, war ihnen schon immer zum Besseren gereicht. Sagten dem Zwerling daher zu, ließen sich aber die Option offen, jederzeit auszusteigen und dem Alten alles wegzunehmen, was dieser an Fälschungen angefertigt hatte, um es auf Trödelmärkten in Geld zu verwandeln. Über diese Einschränkung in der Kooperationsvereinbarung setzten sie den Zwerling selbstredend nicht in Kenntnis, doch dieser konnte sich auch selbst denken, dass die zwei sich einen solchen oder ähnlichen Hinterausgang offenhielten
Er unternahm keine Anstrengungen, ihnen diesen auszureden. Einerseits, weil er selbst aus eigener Erfahrung wusste, dass eine gewisse Skepsis stets angebracht war und er keine Geschäfte mit blauäugigen Naivlingen machen wollte. Andererseits, weil er wusste, dass solcherlei Anstrengungen ohnehin zwecklos wären und im Gegenteil deren Misstrauen wohl noch weiter anstacheln würde. Der Zwerling war wie gesagt ein Pragmatiker und so ließ er den Beiden ihr Misstrauen, während er seinerseits darauf vertraute, dass dieses sich mit der Zeit legen würde.
Die Drei schüttelten sich noch Abend die Hand. Dies reichte ihnen als Zeichen ihres Vertrages vollkommen aus.
Kapitel 2: Die Marken
Die erste Fälschung, die die Laimer Galerie gemeinsam durchführte, war die der Briefmarken. Die Idee dazu harte der Zwerling schon länger gehabt, jedoch hatte ihm die Unterstützung dazu gefehlt.
Eigentlich war ja es eine ganz einfache Sache: Briefmarken gehörten zu den grundsätzlich am leichtesten zu fälschenden Wertträgern. Sie waren verhältnismäßig leicht herzustellen und nebenbei ließ sich in Massenproduktion vergleichsweise schnell ein relativ hoher Wert herstellen. Abnehmer für Briefmarken fanden sich immer und als zusätzlicher Vorteil war zu sehen, dass bei großen Produktionsschleifen zwar ordentlich Wert erzeugt werden konnte, eine einzelne Marke aber nur in den seltensten Fällen einer Echtheitsprüfung unterzogen wurde. Zumindest nicht beim Kauf.
Das Ziel, das sich der Zwerling, und damit die Laimer Galerie, gesetzt hatte war, eine erste Charge Marken im Gesamtwert von 15.500 Euro zu drucken, also insgesamt 10.000 Marken über 1,55 Euro. Wenn diese sich als brauchbar erwies, sollte eine zweite, größere Charge im Wert von 155.000 Euro folgen. Beide Chargen hatte sich Marco Bleiber vom Auktions- und Pfandleihhaus Nymphenburg bereits im Voraus bereit erklärt zu einem Gesamtpreis von 90.000 Euro zu kaufen, um sie weiterzuvermitteln. Um die Finanzierbarkeit zu sichern, streckte Bleiber den vollen Preis der ersten, der kleineren Charge vor.
Zwerling hatte sein Atelier zu diesem Zeitpunkt in einer Gewerbeimmobilie nahe des Laimer Angers. Die Anmietung und auch sein Geschäft liefen hochoffiziell und bei allen nötigen Behörden gemeldet. Das Kunsthandwerk war laut dem Zwerling ein sehr dankbares, wenn es um die Verschleierung ging: Niemand war jemals in der Lage, den Preis von Kunst wirklich einzuschätzen. Also verkaufte er, was die Behörden betraf, einige Gemälde und Skulpturen an das Pfandleihhaus, die dieses überraschenderweise nicht gewinnbringend weiterveräußern konnte, bis an anderer Stelle Geld fließen sollte. Das war eben unternehmerisches Risiko.
In seinem Atelier standen zwischen Leinwänden, Farbeimern, Staffeleien, unbearbeiteten und bearbeiteten Granitblöcken, einem riesigen Käfig, in dem ein Gorilla Platz gefunden hätte, einem industriellen Schmelzofen und diversen hochentzündlichen Chemikalien zwei Druckmaschinen. Die eine war eine Siebdruckmaschine, mit der der Zwerling immer wieder experimentierte, da er vorhatte, irgendwann auch in den Textilhandel mit einzusteigen. Die andere, die wesentlich mehr Raum einnehmende, war eine Offsetdruckmaschine. Diese war ihm von den Hachinger Logistikbetrieben angeliefert worden. Die Auerbach-Schwestern, die beiden Inhaberinnen, hatten sie ihm bis vor die Tür geliefert, knapp zwei Jahre, nachdem er sie bestellt hatte. Das war zwar für sich eine recht lange Lieferzeit, allerdings hatten sie ihm schon bei Eingang seines Auftrags in Aussicht gestellt, dass es auch locker doppelt so lange dauern könne.
Eine derartige Maschine zu beschaffen, gehörte zu den anspruchsvolleren Aufgaben der beiden Schwestern. Im Grunde war es nahezu unmöglich, eine solche zu stehlen: In großen Druckereien standen sie so gut wie nie still und sie während des laufenden Betriebs aus dem Gebäude zu schaffen, ohne dass es jemand mitbekam, war sogar für die Auerbachs unmöglich.
Sie waren ihrer daher über einen Umweg habhaft geworden. Wie genau dieser aussah, behielten sie für sich, jedoch passte die Lieferung damals zeitlich sehr gut mit der vollkommen überraschenden Insolvenz und anschließenden Zerschlagung einer regionalen Wochenzeitung aus dem Umland zusammen.
Letztlich war es allen Beteiligten auch vollkommen egal, woher die Maschine stammte, solange sie sich bedienen ließ und niemand nach ihr suchen ging. Als der Feric und die Glas die Maschine zum ersten Mal sahen und vom Zwerling eine Einweisung erhielten, stand selbige bereits seit drei Jahren in dessen Atelier.
Er zeigte ihnen ganz grundsätzlich die Funktionsweise der Maschine auf und erklärte ihnen außerdem, wie die Druckplatten dafür erstellt und belichtet wurden. Allein konnte er die Briefmarkenfälschung aus mehreren Gründen nicht durchführen, weshalb er sich die beiden jüngeren zur Unterstützung geholt hatte: Er war zwar ein begnadeter Maler, der es mit Sicherheit auch im legalen Raum des Kunsthandwerks zu einigem Ansehen gebracht hätte, allerdings war er gleichzeitig auch ein miserabler Kopist. Es brauchte daher jemand anderen, der oder die dazu in der Lage war, die Motive für die falschen Marken anzufertigen.
Außerdem konnte die Druckmaschine von einer einzelnen Person so gut wie nicht bedient werden. Da oft auf mehrere Gegebenheiten gleichzeitig geachtet werden musste, damit kein komplett kaputtes Druckergebnis herauskam, waren auch drei Personen, die am Druckvorgang beteiligt waren, schon äußerst knapp kalkuliert.
Die drei teilten sich die Arbeit wie folgt auf: Ivica hatte die Aufgabe, die Kopie der Marken anzufertigen, die dann so oft dupliziert wurde, bis eine vollständige Druckplatte damit bestückt und belichtet werden konnte. Zena fertigte währenddessen eine Stanzform, mit der die Marken nach dem Druck ausgestanzt werden konnten. Und Kajetan kümmerte sich um die Beschaffung der benötigten Materialien. Er organisierte eine Rolle Papier mit klebender Rückseite von einer Tonne Gewicht. Die drei hatten sich von Anfang an darauf verständigt, selbstklebende Marken zu produzieren, da Leckmarken eine ganze Reihe von Unsicherheiten mit sich brachten. Einerseits war bei solchen ein zusätzlicher Arbeitsschritt nötig, nämlich der, den Spezialklebstoff auf die Rückseite aufzutragen. Selbiger musste auch exakt richtig hergestellt werden, um zu vermeiden, dass er auf Fälschung hinwies. Niemand von ihnen hatte ein Interesse daran, deshalb aufzufliegen, weil irgendeinem Bürostreber auffiel, dass die Briefmarken plötzlich anders schmeckten als bisher.
Das Auftragen des Spezialleims war außerdem mit erheblichen Risiken verbunden. Die Dicke des Films musste genau stimmen, sonst würden die Marken entweder nicht richtig haften oder ließen sich nicht aus dem Bogen heraustrennen. Ein noch größeres Risiko, vor allem aus einem finanziellen Blickwinkel heraus, stellte die Gefahr dar, bei Auftragen von zu viel des Flüssigen Grundstoffes, das Papier oder das Druckergebnis zu beschädigen. Dazu kam dann noch, dass selbstklebende Marken aufgrund ihrer einfacheren Anwendungsmöglichkeit deutlich besser zu vertreiben waren.
Da traf es sich gut, dass Kajetan Zwerling über Kontakte an genau die Papierrolle herankommen konnte, die sie brauchten. Es handelte sich dabei um eine, die ursprünglich für die Bundesdruckerei in Berlin bestimmt gewesen war. Sie sollte zur Produktion von Briefmarken eingesetzt werden, war aber vor ihrem Abtransport auf mysteriöse Weise verschwunden.
Der Galerie gereichte das natürlich zum Vorteil, da sie sie nun für vergleichsweise kleines Geld erwerben konnten. Dass aufgrund dieser Schlamperei zweifellos jemand seine Anstellung verloren hatte, war dem Zwerling dabei recht gleichgültig. So weit reichte das Klassenbewusstsein des Kommunisten dann auch wieder nicht.
Die Maschine wurde beim Druck dann von allen gemeinsam beaufsichtigt und auch die weitere Verarbeitung, also das Stanzen und Zuschneiden wurde arbeitsteilig erledigt.
Als Motiv entschied man sich für ein einfaches Blumenbild. Das hatte mehrere Gründe: Einerseits war dieses relativ leicht umzusetzen. Daneben wurden für das Motiv lediglich drei Farben benötigt, was bedeutete, dass auch nur drei Druckläufe erforderlich waren. Schließlich waren die Blumenmarken auch von kleinerem Format als die Standardmarken, wodurch sich 160 anstatt 120 Marken auf einer Druckplatte platzieren ließen. Das bedeutete eine schnellere Produktion.
Ivica begann also mit der Kopie. Er betrachtete dadurch die zu kopierende Marke in enormer Vergrößerung und übertrug jeden einzelnen Bildpunkt in ein Raster. Auf diese Weise stellte er sicher, dass die Kopie am Ende eine komplett exakte sein würde.
Komplett exakt wurde diese am Ende aber dennoch nicht. Ivica Feric zeigte zwar so gut wie nie, dass er ein eigenständiger Mensch war, wer aber bewusst danach suchte, der konnte die kleinen Hinweise auf dessen Ego dann doch finden.
In diesem Fall mogelte er auf versteckte Weise seine Initialen auf die Briefmarke: Er zählte die Spalten und Zeilen der Briefmarke ab und wies jeder dadurch entstandenen Koordinate einen Buchstaben zu. Dann vertauschte er die Farbe eines einzelnen I mit der eines einzelnen F.
Dadurch gab es im grünen Gras unterhalb des Gänseblümchens einen einzelnen gelben und in deren Blüte einen einzelnen grünen Bildpunkt. Zu finden waren diese beiden natürlich ausschließlich unter dem Mikroskop und das auch nur dann, wenn man gezielt danach suchte. Außer Feric selbst wusste davon auch niemand, auch den beiden anderen Gallerist:innen erzählte er davon nicht. Es war sein eigenes kleines Geheimnis, seine eigene Signatur, die er nur für sich selbst anbrachte und die er von da an auf jeder Fälschung, die er anfertigte, hinterlassen sollte.
Unterdessen war Zena Glas damit befasst, das genaue Stanzmuster der Marken zu kopieren. Hierfür vermaß sie bestehende Markenbögen auf den Zehntelmillimeter genau. Neben der absolut korrekten Darstellung der Marken selbst, mussten auch die Abstände zwischen ihnen vollkommen perfekt werden, sodass die Bögen am Ende nicht mehr von denen zu unterscheiden waren, die die Post selbst ausgab.
Die Zeichnung dieses Musters gestaltete sich ähnlich anspruchsvoll wie die Arbeit, mit der Ivica jeden Bildpunkt einzeln dokumentierte. Im Gegensatz zu diesem verzichtete Zena zwar darauf, irgendeine Art der Signatur in ihrem Werk unterzubringen, dennoch waren sie beide es, die den Zwerling während ihrer Tätigkeit immer wieder kritisch beäugten, da dieser scheinbar die mit Abstand leichteste Aufgabe mit der Materialbeschaffung hatte. Er sagte ihnen zwar, dies sei unabdingbarer Teil ihrer Ausbildung - was sich im Nachhinein auch als zutreffend erweisen sollte - jedoch wurden sie beide das Gefühl nicht los, dass sich da lediglich einer zwei Trottel für die weniger vergnüglichen Tätigkeiten herangeschafft hatte.
Die Anfertigung der Stanze wurde dann an einen Fremdbetrieb abgegeben. Auf die Diskretion der Messerschleiferei Moosach war Verlass und ihre Maßarbeit wurde vollkommen zurecht hochgeschätzt. Die Stanze, die sie fertigte, entsprach exakt den vorgegebenen Maßen und wurde obendrein bereits innerhalb weniger Tage angeliefert.
Die erste Gemeinschaftsproduktion der Laimer Galerie konnte deshalb bereits zwei Wochen nach deren ersten gemeinsamen Essen in der Luftschlange aufgenommen werden. Ivica hatte sich in das Thema der Belichtung der Druckplatten eingearbeitet und bereitete diese vor. Die Druckmaschine hatte drei Walzen. Dadurch, dass das Markenmotiv dreifarbig war, konnte sie durchlaufen, ohne gestoppt werden zu müssen. Die Druckplatten wurden eingespannt, das Papier vorbereitet und die Maschine in Betrieb genommen. Der erste Durchlauf dauerte keine drei Minuten. Sie waren davon ausgegangen, dass die ersten etwa dreißig Bögen unbrauchbar sein würden. Tatsächlich war es bereits der achtzehnte, der in einwandfreier Qualität die Maschine verließ. Sie hielten sie nicht an, sondern ließen ab diesem Zeitpunkt noch 62 weitere Bögen durchlaufen.
Diese wurden dann in ebensolche, nämlich einzelne Bögen geschnitten, die dann wiederum einzeln gestanzt wurden. Insgesamt dauerte dieser gesamte Vorgang etwas weniger als drei Stunden und am Ende hatte die Laimer Galerie 10.080 Briefmarken über 1,55 Euro, die vom Original nur in einem Punkt zu unterscheiden waren: Die Rückseite der Bögen war weiß und nicht wie die der Post bedruckt. Dies wurde nun im letzten Schritt geändert. Dieser fand im Digitaldruck, als mit einem klassischen Druckergerät statt und dauerte länger als die gesamte vorherige Arbeit. Die drei ließen den Drucker über Nacht arbeiten und gingen nach Hause.
Am nächsten Morgen transportierten sie drei Koffer nach Nymphenburg. In diesen befanden sich 1.008 Bögen mit jeweils zehn selbstklebenden Briefmarken, die sich nur aufgrund zweier Farbpunkte vom Original der Post unterschieden. Außerdem hatten sie eine Skulptur dabei, die in den Augen der Behörden das tatsächlich gehandelte Objekt darstellte. Es handelte sich dabei um eine Gipsskulptur, angefertigt von Kajetan Zwerling, die passenderweise einen Briefträger darstellte. Bleiber, der Inhaber des Auktions- und Pfandleihhauses betrachtete sie angewidert, seinen Geschmack traf sie offenbar nicht. Die Marken auf der anderen Seite, entzückten ihn umso mehr. Ein Volltreffer seien sie, ließ er wissen und schien es für den Beweis seiner Weitsicht zu halten, in Vorleistung gegangen zu sein. Er bestätigte seinen Auftrag erneut und konkretisierte, dass er die restlichen 100.000 Marken innerhalb der nächsten 14 Tage brauchte. Allen Anwesenden war klar, dass er damit nur Druck erzeugen wollte, um von seiner vorangegangenen Begeisterung über die Qualität der Ware abzulenken. Dennoch sagten die Galerist:innen sofort zu.
Die darauffolgenden beiden Tage verbrachten sie nahezu ausschließlich mit dem Schneiden, Stanzen und Stapeln von Zehnerbögen Briefmarken. Der Digitaldrucker für die Rückseiten lief währenddessen ohne Unterbrechung und auch, als sie alle Bögen zurechtgeschnitten hatten, lief er noch weiter. Insgesamt waren es 625 Bögen, die sie am Ende benötigten. Sie fertigten 641, also einen Großbogen mehr an. Die dadurch 160 zusätzlich gedruckten Briefmarken behielten sie für den eigenen Gebrauch.
Am dritten Tag nach Ablieferung der ersten Charge betraten sie das Pfandleihhaus erneut, dieses Mal hatten sie nur einen einzelnen Koffer dabei. In diesem befanden sich alle Bögen, die Bleiber bestellt hatte. Zumindest fast alle. Genau genommen befanden sich darin 624 Bögen. Den letzten sollte er erhalten, sobald die Galerist:innen ihr Geld hatten. Das war mehr eine symbolische Geste, doch verfehlte sie ihre Wirkung beim Auktionator Bleiber, der eine Schwäche für feine Details hatte, nicht.
Noch am selben Abend erschien Bleiber im Atelier. Dieses Mal war er es, der einen Koffer bei sich trug. In diesem befanden sich 74.500 Euro in Scheinen. Den verbleibenden Bogen würde er dann gern mitnehmen, sagte er. Doch da mussten ihn die Galerist:innen leider enttäuschen. Der Bogen sei nicht hier, sondern bereits auf dem Weg zu ihm.
Am nächsten Morgen ging beim Auktions- und Pfandleihhaus Nymphenburg ein Brief ein. Im Umschlag lag nichts als ein Zehnerbogen Briefmarken. Dem Bleiber, der wie gesagt eine Schwäche für feine Details hatte, entging nicht, dass der Umschlag mit einer 1,55 Euro-Marke überfrankiert war. Ebenfalls entging ihm nicht, dass diese Marke vom selben Blumenmotiv war wie diejenigen im Umschlag.
Eines entging dem Bleiber aber, was daran lag, dass er keine Veranlassung hatte, die Marke außen auf dem Umschlag unter dem Mikroskop zu betrachten: Bei dieser waren sämtliche Farbpunkte an der exakt richtigen Stelle und kein einziger war vertauscht.
Darauf hätte der Bleiber kommen können, hätte er aktiv danach gesucht. So wusste am Schluss nur eine einzige Person, dass zur Frankierung eben keine gefälschte, sondern eine gleichartige originale Briefmarke verwendet worden war. Und Zena Glas freute sich ganz diebisch darüber, dass sie diese einzige Person war.